Zwischen den Vergänglichkeiten – Lyrik und Prosa des 20. Jahrhunderts

Heimat und Fremde, Krieg und Frieden, Begegnung und Trennung. Alles fließt, alles was wird, vergeht auch wieder. Aber wie lebt der Einzelne damit? Und oft ist man auch im Inneren dazwischen. Wo soll ich mich hinwenden? Leben zwischen den Vergänglichkeiten. Ein Streifzug durch Lyrik und Prosa vor allem des 20. Jahrhunderts.

Komm! Ins Offene, Freund – Lyrik und Prosa

Es ist dem Dichter, als erlebe er eine bleierne Zeit – ein trüber Tag, ohne jeden Glanz, die Berge und die Gipfel des Waldes sind verhüllt, die Gassen schlummern, kein Gesang erfüllt die Luft. Und an diesem Tag, an dem das Lebendige wie erstorben scheint, ruft er dem Freunde zu: „Komm! ins Offene!“ Gerade heute, gerade jetzt! Es bleibt dem Leser, für sich zu deuten, was es ist, dieses Offene. Der bei Hölderlin häufig wiederkehrende Begriff besitzt etwas Zauberisches, spricht eine Sehnsucht an, während die Menschen wieder und wieder bleierne Zeiten erleben. So nimmt es nicht wunder, dass sich das Thema durch viele Dichtungen bis heute zieht.

Goldne Abendsonne, wie bist du so schön

“Goldne Abendsonne, wie bist du schön” – von diesem Gedicht von Anna Barbara Urner (1760 – 1803) schlägt sich ein Bogen bis in die Gegenwart. Immer wieder regte der Abend Menschen zur Dichtung an, zum Nachdenken. Der Lauf der Natur und des Wetters bestimmen seit eh und je das Leben auf dieser Erde. Auch wir Menschen am Beginn des 21.Jahrhunderts spüren das, mal bewusster, mal weniger bewusst. – Eine heitere Sommerlesung mit Zwischentönen.

Tulifäntchen

Der zu klein geratene Ritter „Tulifäntchen“ geht als letzter Erbe der Familie der Tulifanten auf die Suche nach Heldentaten. Im Ohr seines treuen Gefährten, des Schimmels Zuckladoro, erreicht er das „Land der Frauen“. Diese haben ihre Männer vertrieben, weil sie es satthatten, einerseits angehimmelt, andererseits an den Kochtopf verbannt zu werden. Tulifäntchen erfährt, dass der Riese Schlagadodro die Prinzessin Balsamine, die Tochter der Königin Grandiose, geraubt hat. Er sieht seine Stunde „der Tat, des Ruhms“ gekommen. Mit Hilfe der Fee Libelle, die schon seit seiner Geburt über ihn wacht, bringt Tulifäntchen die Mauer aus Eisen zu Fall, hinter der sich der Riese verschanzt hat, und befreit Balsamine, die der Riese umbringen will. Zum Dank vermählt die Königin den kleinen Ritter mit der gelehrten Prinzessin. Diese Ehe bekommt ihm allerdings nicht. Wieder muss die Fee eingreifen und Tulifäntchen ins „Reich der Geister“ retten, wo er „ob seiner großen Tugend“ sehr beliebt ist.

Eine Lesung mit An Kuohn, Achim Conrad, Markus Manig und Thomas Zieler (verschiedene Besetzungen möglich).

Der alte König in seinem Exil

Arno Geiger hat ein tief berührendes Buch über seinen Vater geschrieben, der trotz seiner Alzheimerkrankheit mit Vitalität, Witz und Klugheit beeindruckt. Die Krankheit löst langsam seine Erinnerung und seine Orientierung in der Gegenwart auf, lässt sein Leben abhandenkommen. Arno Geiger erzählt, wie er nochmals Freundschaft mit seinem Vater schließt und ihn viele Jahre begleitet. In nur scheinbar sinnlosen und oft wunderbar poetischen Sätzen entdeckt er, dass es auch im Alter in der Person des Vaters noch alles gibt: Charme, Witz, Selbstbewusstsein und Würde. Achim Conrad und Thomas Zieler nähern sich in ihrer Lesung behutsam dieser so besonderen Beziehung und erzählen von einem Leben, das es immer noch zutiefst wert ist, gelebt zu werden.

“Das Zauberklavier” und “Prinzessin Zitrinchen”

Die Märchen von Heinrich Seidel (1842 – 1906) gehören zu den schönsten und sprachgewaltigsten, die uns aus den vergangenen Jahrhunderten überliefert sind. Vor dem Hintergrund der mecklenburgischen Landschaft konstruiert Seidel, anrührende metaphernreiche und ironische Geschichten.
Dabei nutzt er teilweise Motive seiner großen Vorbilder Hans Christian Andersen, Wilhelm Hauff und E. T. A. Hoffmann. Oft handeln die Märchen von mutigen Kindern. Da macht sich die winzig kleine Prinzessin Zitrinchen nach erfolglosen Versuchen ihrer Eltern, sie zu verheiraten, ganz allein auf, um in der Welt ihr Glück zu finden, eine andere Prinzessin trotzt im „Zauberklavier“ dem Verbot ihres Vaters und spielt Klavier, und es gelingt ihr sogar, dem ganzen Königreich bewusst zu machen, dass Musik das Leben reicher macht. „Das Weihnachtsland“ erzählt von dem kleinen Werner, der am Rande eines Dorfes lebt und einmal auf wundersame Weise ins Reich des Weihnachtsmannes gelangt.
Heinrich Seidel arbeitete zunächst als Ingenieur. Sein Meisterstück war das Dach der Ankunftshalle des Anhalter Bahnhofs in Berlin. In seinem literarischen Schaffen wurde er von Gottfried Keller und Theodor Storm gefördert.